Stress ist also – nach allem, was wir bisher gelernt haben – eine körperliche Reaktion, die auf einer Notwendigkeit beruht, die heute meist nicht mehr gegeben ist. Wir reagieren leider nicht nur in existentiell bedrohlichen Situationen mit Stress, sondern auch bei anderen Problemen, die wir als belastend empfinden. Diese Reaktion wird sich nach allem was wir wissen nicht ausschalten lassen.
Was wir als Menschen also lernen müssen, ist mit der körperlichen Reaktion Stress angemessen umzugehen und ihre psychischen Auswirkungen auf möglichst effektive Weise zu umgehen oder nutzbar zu machen. Dies ist leider ob der Beschaffenheit von Stress meist nicht gerade einfach.
Schauen wir uns ein Beispiel aus dem Alltag an. Ein Mann und eine Frau leben als Ehepaar zusammen und haben die Arbeiten, die täglich anfallen, auf eine bestimmte Weise auf sich verteilt. Nun kommt es bei einem der beiden – nehmen wir an, dem Mann – zu einer Stresssituation, beispielsweise weil eine Rechnung mit der Post kommt, die unerwartet ist und die er nicht ohne weiteres bezahlen kann.
Er gerät in eine unangenehme psychische Krise, die ihn beispielsweise verschlossen, verärgert oder reizbar macht.
Die Frau erkennt das für sie seltsam erscheinende Verhalten ihres Mannes – sie weiss noch nichts von der Rechnung – und spricht ihn darauf an. Je nachdem, wie intensiv seine Stressreaktion ist, wird er anders reagieren; vielleicht wird er ihr Vorwürfe machen, sich selbst Vorwürfe machen, seinen Selbstzweifeln Ausdruck verleihen oder etwas ähnliches.
Diesen Reaktionen gemein ist, dass sie den Stress externalisieren – sie tragen ihn nach außen, indem der Mann sagt, dass er nicht mehr weiss, wie es weitergehen soll oder etwas ähnliches.
Vielleicht wird die Frau nun versuchen ihn zu beruhigen: sie weist ihn darauf hin, dass sie in absehbarer Zeit genug Geld aufbringen können, um die Rechnung zu begleichen, oder dass die Krise, die er empfindet, nicht so unabwendbar ist, wie es ihm im Moment erscheint.
Eventuell flaut die Stressreaktion ab – die Zusprache durch seine Frau beruhigt den Mann und hilft ihm, sich zu besinnen. Im täglichen Leben stoßen wir aber oft auch auf eine andere Reaktion: ein Mensch, der darauf hingewiesen wird, dass sein Stress keine unabwendbare Notwendigkeit ist, reagiert mit Ärger und wird die Ansicht vertreten, dass das Problem aber wirklich so groß ist, wie er es empfindet. Vielleicht wird unser Mann seiner Frau sagen, dass sie ja über die finanzielle Lage nicht Bescheid weiß – um ihr so die Kompetenz abzusprechen, ihn zu beruhigen.
Was wir bei so einer ebenfalls nicht untypischen Reaktion beobachten können ist ein Effekt, den man aus der Systemtheorie kennt und der durch die evolutionären Wurzeln des Stresses begründet ist. Der Körper des Mannes, der sich in einer Stressreaktion befindet, wird zu einem gewissen Maß versuchen, diese zu erhalten, weil er von der Notwendigkeit der Reaktion überzeugt ist – das körperliche System des Mannes versucht, seine vorgegebene Reaktion zu erhalten.
Dies ist begründet in der Wahrnehmung eines Menschen, die für ihn immer noch die wichtigste Informationsquelle ist. Wenn ein Mensch einen Tiger sieht, ein anderer aber nicht, so wird der, der den Tiger erblickt, sich nur schwerlich von seinem Gegenüber beruhigen lassen – auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass in der Tat ein Tiger zugegen ist, noch so gering sein mag. Wir sind darauf angewiesen, dass wir unseren Wahrnehmungen vertrauen, und tun dies in gewissem Maße auch bei der Reaktion Stress, die ja fast immer in irgendeiner Wahrnehmung begründet ist.
Achten sie also bitte in ihrem täglichen Leben darauf, dass ihnen klar ist, dass Stress eine psychische Situation ist, die nicht fest mit der Außenwelt verknüpft ist. Sie können in Stress ausbrechen, wenn sie ihren Kontostand sehen, ebenso wie wenn sie beinahe in eine Schlägerei verwickelt werden oder wenn sie den Keller sehen, den sie schon lange einmal Aufräumen müssten – es gibt keine festen Auslöser für Stress, also gibt es auch kaum eine Notwendigkeit für Stress.
Lassen sie sich helfen, wenn ihnen jemand in einer Stressphase zuspricht! Niemand will ihnen etwas, sondern es handelt sich typischerweise nur um ein Hilfsangebot – auch wenn das gefühlsmäßig nicht immer leicht zu verarbeiten ist.