Groß in Klein

Wollten Sie schon mal die Petroleumlampe Ihrer Großmutter wieder zum Leuchten bringen und sind an fehlenden Ersatzteilen gescheitert? Haben Sie noch das knappe „Gibt es nicht!“ des Verkäufers im Ohr, als Sie nach einem speziellen Hobel gefragt oder eine einzelne Schraube verlangt haben? Dann sind Sie bei Chr. Weimeister richtig.

Der sparsam, aber doch ausreichend beleuchtete Verkaufsraum ist angefüllt mit Waren aller Art. Holz- und Gummihammer, Petroleumlampen, Sägen und Trillerpfeifen baumeln von der Decke. In, vor, auf dem Tresen und in Regalen: Schraubenzieher, Stechbeitel, Taschenmesser, Schlösser, Schlüssel, Hobel, Glühbirnen, Ketten, Zangen, Maßbänder, Sägen, Thermosflaschen, Schraubenschlüssel, Schiffsmodelle und noch unendlich viel mehr – ein Chaos, wie es im Buche steht. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten offenbart sich eine subtile Ordnung.
Herr über das geordnete Durcheinander von ungefähr 19000 Artikeln ist Andreas Dörflein. Mit einem kleinen Team führt er Christian Weimeisters „Eisenkrämerei“, diese Institution am Hamburger Elbufer nahe den St.-Pauli-Landungsbrücken. Als wäre er dabei gewesen, erzählt Dörflein: „Als ,Krischan‘ Weimeister seine Firma 1908 gründete, wurde gerade der Alte Elbtunnel gebaut. Dorthin hat er viele Eisenwaren und Werkzeuge verkauft. Ansonsten war man auf Schiffs- und Fischereibedarf spezialisiert. Von der Positionslampe bis zum Räucherofen gab’s hier alles, bis in die 70er Jahre sogar auch Haushaltswaren.“ Noch heute ist Weimeister Schiffsausrüster für mehrere Reedereien. Kluge Sortimentsbereinigung und Spezialisierung kennzeichnen die Geschichte des Geschäfts. Beim Werkzeug liegt das Schwergewicht heute auf der Holzbearbeitung. Sägen, Stechbeitel, Klüpfel, Äxte, Schnitzmesser, Hobel und Schabeisen bietet die „Eisenkrämerei“ in schier unendlichen Variationen. Behutsame Veränderungen und klare Abgrenzungen -keine Elektrowerkzeuge -wirken bis heute erfolgreich.

Claus Albers gehört seit zwei Jahren zum Team:    „Ich

möchte hier bis zur Rente bleiben. Die Kunden sind nett, und an dem Sortiment habe ich auch als Verkäufer viel Spaß.“

Ein Katalog erlaubt seit mittlerweile zehn Jahren auch Nicht-Hamburgern Einblicke in das Warenangebot. Die Bestellungen aus der ganzen Republik und dem Ausland landen bei Ursula Jessel. Gemeinsam mit ihrer Mutter Hildegard schnürt sie die Päckchen und Pakete für den Versand.

Längst ist Christian Weimeisters „Eisenkrämerei“ auch im Internet zu finden. „Solche Neuerungen müssen sein, man darf sich ihnen nicht verschließen“, meint Andreas Dörflein.

Auch wenn es um vermeintlich Unzeitgemäßes geht, heißt das Zauberwort „Weimeis-ter“. „Im letzten Jahr gab es einen regelrechten Bohnerbesen-Boom. Weil in Altbauten immer häufiger die Dielenböden abgeschliffen werden und ohne Teppich bleiben, wurden plötzlich wieder Bohnerbesen nachgefragt. Wir konnten sie bieten.“ Dörflein freut sich. Damit wird jenes besondere Merkmal deutlich, das die „Eisenkrämerei“ bis heute auszeichnet: Service. Hier wurde Kundenservice schon gelebt, bevor es das Wort dafür überhaupt gab. „Mir macht das heute noch so viel Spaß wie vor 20 Jahren“, sagt Andreas Dörflein, und es ist ihm anzusehen, dass er jede Kundenfrage als Herausforderung betrachtet. „Natürlich sind bei uns Schrauben auch einzeln zu haben und was nicht vorrätig ist, wird schnellstmöglich beschafft. Ein ,Haben wir nicht.‘ gibt’s bei uns nicht.“

Das gilt auch für Petroleumlampen. Dieser Spezialität des Hauses wird an vielen Stellen sichtbar gehuldigt. Modelle namhafter Hersteller in klassischen und modernen Formen, selbstverständlich in allen Größen und samt Zubehör, lassen kaum Wünsche offen. Bastler bekommen neben der fachmännischen Beratung auch eine große Palette an Ersatz- und Verschleißteilen geboten.

Aber bei Weimeister bestechen nicht nur Warenfülle, Beratungs- und Servicequalität. Die seit 1930 nahezu unveränderte Ladeneinrichtung verströmt einen ganz eigenen Charme, besonders die dunkelbraune Wand aus fast 600 Schubladen. Sie sind eine wahre Fundgrube für unzählige Kleinteile. Scharniere und Winkel in allen Größen, Möbelbeschläge, Haken aller Art, Lüftungsbleche – von der Spazierstockspitze bis zum Locheisen ist hier mehr zu entdecken als jeder Schatzsucher für möglich halten würde. In das Geschäft kam Andreas Dörflein erstmals als Kind mit dem Vater, der im Hafen arbeitete. Der kleine Junge konnte kaum über den Tresen sehen, war aber sofort fasziniert und von der besonderen Atmosphäre gefangen genommen. Als Schüler hat er später während so mancher Inventur tagelang Schrauben gezählt. Unter der Chefin Maria Brüning, einer geborenen Wei-meister, und deren Ehemann Jens begann 1983 seine Lehrzeit.

In all den Jahren im Laden hat Andreas Dörflein aber nicht nur jedes Schubfach bis in den letzten Winkel erforscht, Waren, Kunden und Lieferanten kennen gelernt, sondern vor allem den besonderen Geist des Hauses in sich aufgenommen. Kein Kundenanliegen ist zu gering und kaum ein Aufwand zu groß. Es überrascht deshalb nicht, dass Andreas Dörflein 1992 nach dem frühen Tod des Juniorchefs Klaus Brüning Geschäftsführer wurde. Obwohl im April 2002 mit Maria Brüning die letzte Weimeister dieser Linie verstarb, ist der Geist des Gründers nach wie vor lebendig. Denn noch immer hört man Kunden sagen: „Schön, dass man bei Weimeister nie enttäuscht wird.“