Heute ist wieder ein anderes, dafür aber nicht weniger falsches Bild des Wolfs im Umlauf. Bei vielen romantisch gesinnten Zeitgenossen gilt er als letztes Überbleibsel einer heilen Wildnis. Unzählige Bücher, Filme und Poster vermitteln ein Bild vom Wolfsrudel als der idealen Familie, vom Wolfsrüden als dem treu sorgenden Vater und von der Wölfin als der perfekten Mutter.
Wieder geht es aber nicht um den Wolf selbst, sondern nur um eines der vielen Zerrbilder in unseren Köpfen. Er ist weder der letzte Held einer verlorenen Wildnis noch unser Untergang, weder Teufel noch Tölpel. Alle diese Vorstellungen stehen immer nur in Zusammenhang mit der Situation des Menschen. Mit dem Wolf selbst haben sie jedoch wenig zu tun.
Die Zukunft des Wolfes hängt von uns ab. Wenn wir ihn so akzeptieren, wie er wirklich ist – kein unproblematisches Tier und doch fähig, mit uns zu leben -, dann kann er zurückkommen. Wenn wir ihn weiter fürchten und hassen, hat er keine Chance. Unser Bild von ihm entscheidet also über sein Schicksal.
Erst in den letzten Jahrzehnten haben wir dank vieler Forschungsarbeiten über die Ökologie und das Verhalten des Wolfes ein realistisches Bild von ihm bekommen. Danach ist der Wolf, wie jede andere Tierart auch, mit seiner Körperform, seinen Sinnesleistungen, seiner „Sprache“ und seinem Verhalten so gut es geht an die Umwelt angepasst. Er ist sogar ein besonders flexibler Allesfresser und Großwildjäger.
Weil wir Menschen einst ähnlich gelebt haben, steht er uns sehr nahe. Wir haben ihn gezähmt und als Hund zu uns genommen. Gleichzeitig aber fürchten wir ihn als Konkurrenten und Feind. Das ist das Dilemma mit dem Wolf: seine Stellung zwischen unserer Kultur und seiner Natur. Damit er diese Stellung auf Dauer behaupten kann, müssen wir endlich lernen, ihn ohne Vorurteile zu sehen. Er ist ein faszinierendes Tier. Er kann uns Probleme machen, aber wir werden sehr viel ärmer sein, wenn es ihn nicht mehr gibt.