Verstehen sie den Begriff „Pflicht“, der über diesem Abschnitt prangt, nicht falsch – heute bedeutet die Erfüllung seiner Aufgaben weniger soldatischen Gehorsam (der ja bei diesem Wort noch immer deutlich mitschwingt), sondern vielmehr eine Annahme und positive Abwicklung der Lebensaufgaben, die sich einem Menschen stellen. Die platte Vorstellung, dass ein pflichtbewusster Mensch einfach alles tut, was man ihm sagt mag zwar noch mit diesem Begriff verbunden werden, besteht aber in der Praxis schon lange nicht mehr – unsere Gesellschaft kennt große Anerkennung für Menschen, die ihre Leistung in den Dienst einer Sache stellen.
Perspektivlose Generationen junger Menschen haben wir scheinbar überwunden – die Universitäten, früher ein Zeichen der ideellen Opposition gegen die Hauptströme der Gesellschaft, sind heute geprägt von relativ strebsamen, erfolgsbewussten Studenten, die zwar sicher noch ihre individuelle Weltanschauung mit sich bringen, die aber in Zeiten sinkenden Wohlstands sicher nicht auf die Idee kommen würden, ihre Karriere für zwar ambitionierte, aber wenig praxistaugliche Ideen zu opfern. Beachten sie also bitte, dass die Erfüllung seiner „Pflicht“ keineswegs so überholt ist, wie dieser Begriff auf den ersten Blick erscheint.
Wenn man neben dem Beruf und der Familie noch andere zeitaufwändige und pflichtbetonte Aktivitäten hat, nimmt man sich für diese die Zeit, die man benötigt – wer kennt nicht die Notwendigkeit, eine lange anstehende Renovierung oder das Aufräumen des Dachbodens einfach „trotzdem“ zu machen, auch wenn eigentlich keine Zeit dafür zu sein scheint?
Wir alle sind vor allem mit einem Spruch in den Ohren aufgewachsen: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Man sollte also, wenn man diese Idee befolgt, erst Zeit für angenehme Beschäftigungen und für sich selbst haben, wenn man seine Pflichten erledigt hat, und natürlich nach Möglichkeit alle, die an diesem Tag anfallen.
Um einem jungen Menschen die Pflichten des Erwachsenenlebens nahe zu bringen mag diese Attitüde ja recht geeignet sein – als Maxime für das gesamte Leben allerdings nicht, weil Pflichterfüllung sich zwar für geistiges Wohlbefinden in gewissem Maße eignet, nicht aber für körperliches. Menschen, die sich durch außerordentliche Erfüllung ihrer Pflichten hervortun genießen bei uns großes Ansehen, und sie können sicherlich durch ihren Beruf oder ihre andere Aufgabe Anerkennung von anderen, aber auch von sich selbst zu genießen. Es ist nur natürlich, dass man sich bei einem so angesehenen Ding wie „Pflicht“ gegenseitig zu übertrumpfen versucht, um am Ende gut dazustehen und genug vom großen Kuchen des Ansehens abzubekommen.
Ziehen wir also ein erstes Fazit: wir alle kennen die Notwendigkeit, manche Pflichten zuerst zur Seite zu legen, um die dringenderen zuerst zu erledigen. Pflicht kann vor anderer Pflicht gehen. Es ist allerdings weitaus weniger angesehen, seine Pflicht ruhen zu lassen, um sich selbst etwas Gutes zu tun – sprich, um dem Vergnügen nachzugehen, das wir alle als nach der Pflicht eingeordnet gelernt haben.
In Zeiten, in denen man mit den Pflichten des täglichen Lebens meist kaum nachkommt und sich um Arbeit, Haushalt, Hausarbeit und Familie gleichermaßen kümmern muss und dabei eventuell noch einen Besuch im Sportstudio einschieben „muss“ ist es daher sehr wahrscheinlich, dass die Muße, die man nach der Pflicht genießen darf, an vielen Tagen überhaupt keinen Platz mehr findet. Und wenn dennoch für eine Entspannung Platz ist (meistens am Abend), so sind viele Menschen geistig und körperlich zu kaum noch etwas anderem fähig als sich vom Fernseher berieseln zu lassen.
Wenn Fitness die Gegenbewegung zum modernen Bewegungsmangel ist, so stellt Wellness den Kontrapunkt für den modernen Zeitmangel dar. Immer mehr Menschen haben scheinbar immer weniger Zeit, und es ist eine mehr als wichtige Idee, sich die Zeit, die man für sich braucht, schlicht und einfach zu nehmen.
Die Idee der Wellness-Bewegung ist es, sich nun auch für eigentlich angenehme Dinge die Zeit zu nehmen, die man braucht. Sicher, dies erscheint gerade in Deutschland einigermaßen abwegig – schließlich sind wir alle mit Sprüchen wie „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ in den Ohren aufgewachsen. Doch andererseits spürt man wahrscheinlich in seinem eigenen Alltag sehr genau, dass man nur durch außerordentliche Erfüllung seiner Pflichten nicht wirklich die Ziele erreicht, die man sich gesetzt hat – weshalb es für viele Menschen eben doch Sinn macht, sich Zeit für sich selbst zu nehmen.