Unfälle und Blessuren sind die Kehrseite des Selbermachens: unrühmlich, aber nicht zu leugnen. Wer von den kleinen und großen Gefahren weiß, lebt eine ganzes Stück sicherer.
Das rote Signallämpchen im Hirn flackerte um Bruchteile einer Sekunde zu spät auf. Die pfeilspitzen Splitter einer Badezimmerfliese hatten sich schon in die Haut gebohrt. Haarscharf am Auge vorbei. Der Schmerz war schlimm, das Ärger über sich selbst noch schlimmer. Da war sie, die Stimme des Verkäufers im Baumarkt: „Benutzen Sie auf jeden Fall einen Meißel mit Handschutz. Und beim Arbeiten in Augenhöhe um Himmels willen nie die Schutzbrille vergessen.“
Gute Ratschläge – in den Wind gesprochen. 180 000 Mal im Jahr, so die Unfallstatistik. Der Bund der Versicherer schätzt die Zahl der Heimwerkerunfälle sogar auf weit mehr als 200 000. Nach einer Untersuchung des Münchner Instituts Infratest-Wirtschaftsforschung ereignet sich alle sieben Sekunden eine kleinere oder größere Katastrophe im häuslichen Bereich. Jede zehnte geht auf das Konto von Hobbygärtnern und Heimwerkern.
Wobei die Männer im Alter zwischen 25 und 44 Jahren laut Statistik Spitzenreiter sind. Dicht gefolgt von Frauen zwischen 45 und 64 Jahren 67 Prozent aller Fälle sind auf Eile und Ungeschicklichkeit zurückzuführen. 45 Prozent auf Unkonzentriertheit und mangelnde Vorsicht. Nackte Zahlen, hinter denen sich die ganze Dramatik des Alltags verbirgt: Unwissenheit, Ungeduld und Halsstarrigkeit.
„Kein Problem, damit komm’ ich klar. Diesen Satz kann ich inzwischen mitsingen“, sagt ein Verkäufer einer großen Baumarktkette. Die Situation ist immer die gleiche: Der Kunde scharrt ungeduldig mit den Hufen. Das Wochenende ist kurz, und er will ran an die Kettensäge, die Bohrmaschine, das Sandstrahlgebläse. Hinweise und Erläuterungen überhört er gern. Im günstigsten Fall nickt er scheinbar verständig. In Gedanken ist er längst bei seinen Terrassenfliesen, dem Teppichboden oder dem Mauerdurchbruch für den Wintergarten.
Knapp zehn Millionen Elektrowerkzeuge gingen allein im vergangenen Jahr über die Ladentische, gekauft oder geliehen. „Der Trend geht mit Macht zu den Großgeräten“, weiß ein Verkäufer bei Obi. Zu Bohrhämmern, Hochdruckpistolen und den berüchtigten Kreissägen.
Die sind die Hauptverursacher der Unfälle. Die Abteilung für Plastische und Handchirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Ludwigshafen registrierte in dem knappen Zeitraum von nur drei
Jahren, von 1991 bis 1993, eine Zunahme um rund 60 Prozent bei schweren Verletzungen allein durch den Einsatz von Kreissägen, und zwar im Hobbybereich. Bei den gewerblich genutzten fiel der Anstieg geringer aus.
„Und dann fliegt ihnen das Gerät um die Ohren…“
Genau hier liegt das Problem. Für Fachleute, Handwerker etwa, sind Kurse zur Unfallprävention und Arbeitssicherheit vorgeschrieben. Es gibt Sicherheitsbeauftragte für die in einer Berufsgenossenschaft organisierten Unternehmen. Laien gehen leer aus. Wie gut sie beraten werden, liegt im Ermessen und Vermögen des Verkaufspersonals.
Besonders in den neuen Bundesländern schießen Baumärkte und Verleihfirmen wie Pilze aus dem Boden. Aufgerüttelt durch alarmierende Presseberichte beteuern alle Betreiber übereinstimmend,
daß sie Maschinen und Geräte nicht ohne Beratung ausleihen. Theoretisch. Die Praxis sieht häufig anders aus: Baumärkte sind an den Wochenenden proppenvoll, Berater vom Andrang überfordert. Sie verweisen auf die beiliegenden Gebrauchsanweisungen und auf notwendige Schutzvorrichtungen. Und verlassen sich auf die Einsichtsfähigkeit und Sorgfalt ihrer Kunden.
„Die neuen Maschinen entsprechen pingeligen Sicherheitsvorschriften, die Gebrauchsanweisungen sind verständlicher und verbraucherfreundlicher geworden“, sagt ein Kundenberater von Bosch. Gegen die brisante Mischung aus fehlender Routine, Leichtfertigkeit, Selbstüberschätzung und Ungeduld hilft es leider nicht viel. „Dabei kostet es manchmal nur zehn Minuten,
sich Schritt für Schritt mit der Gebrauchsanleitung vertraut zu machen“, weiß der Chef einer Fir– t , ma für Maschinenverleih. „Wenn es aber heißt: Erst Öl einfüllen, dann einschalten, schalten die Leute trotzdem sofort ein und beschweren sich bitterlich, daß ihnen das Gerät um die Ohren fliegt.“
Wenn der Heimwerker am Wochenende lustvoll in seinen Werkzeugkasten greift, sind die Ärzte auf den Chirurgischen Unfallstationen auf das Äußerste gefaßt.
Die Skala der Blessuren reicht von Prellungen, Verstauchungen und Armbrüchen über Stromschläge und Augenverletzungen bis hin zu abgetrennten Fingerkuppen und zerstückelten Gliedmaßen.
Nach ihrer Erstversorgung und tröstendem Zuspruch stimmen die – oft unter Schock Stehenden – ein altbekanntes Klagelied an: „Hätte ich doch…“ Das trifft auf einen 28jährigen aus Elmshorn zu, der Probleme mit seiner Farbspritzpistole hatte. Die wollte und wollte nicht mehr das Grasgrün auf die Zaunlatten sprühen. Probehalber richtete er sie auf seine Hand. Drückte wieder und wieder ab. Endlich ging sie dann doch. Von den Fingern bis zu den Ellenbogen färbte sie den linken Arm grün. Und zerstörte ihn bis auf die Sehnenstränge.
Ein 41jähriger Heimwerker aus Erlangen werkelte zunächst lautstark mit der Bohrmaschine und machte dann durch schlagartige Stille auf sich aufmerksam. Beim Bohren von Löchern in ein Kantholz hatte sich sein Hemd in der Maschine verfangen. Es wickelte sich nach Art eines Stricks bis an den Hals auf und erwürgte sein Opfer.
„Er sah aus wie ein Maori auf dem Kriegspfad“
Ähnlich bösartig verhält sich ein kleines und unscheinbares Werkzeug: das Teppichmesser. Richtig eingesetzt, hinterläßt es saubere Schnittkanten an der Auslegeware. Andernfalls richtet es an den Extremitäten ein blutiges Gemetzel an. Beispiele: Eine Hand hält den Teppichboden (in Schnittrichtung!) fest, und – zack, zack -sind die Fingerkuppen weg. Bleibt das Messer unbeachtet auf der Auslegeware liegen und wird zu deren Schonung barfuß darüber hinweg geturnt, gräbt es sich gern in den Fußballen ein. Und noch etwas: Zum Schneiden von Spanplatten kommen Teppichmesser nicht in Frage. Die Abrutschgefahr und daraus folgende Schmerzen sind um einiges größer als die Mühe, ein zweckdienliches Werkzeug zu beschaffen.
Auch ohne Werkzeug kann es ein spätes Einsehen geben. So wie beim freihändig schwebenden Hobbygärtner aus Quickborn. Der hatte beim Absägen von Ästen auf einer viel zu kurzen Leiter zwischen Himmel und Erde balanciert.